Als ich mit 23 Jahren mein Studium beendet hatte und in einem meiner ersten Bewerbungsgespräche saß, fragte mich mein Gegenüber, ein älterer Herr, ob ich mit der Schneckenzange umgehen könne. Wie bitte? „Schneckenzange“, ratterte es durch meinen Kopf, „Was soll das sein?“ Ich dachte an einen Werkzeugkasten, den der Klempner mit dabei hat und aus dem er eine Rohrzange holt. Auf dem Nachhauseweg fiel mir dann ein, dass der Herr wohl ein Teil des Essbestecks meinte, mit dem man Schnecken knackt, um an ihren Inhalt zu kommen und diesen nach feiner französischer Art zu verspeisen. Nun ja, auf manchen Kundenempfängen ist das wohl wichtig. Der Umgang mit Schneckenzangen gehört jedoch bis heute nicht zu meinen Hauptkompetenzen, obwohl ich viele wichtige Regeln der Business-Etikette inzwischen verinnerlicht habe und dazu Seminare und Coachings anbiete.
Alte, überholte Regeln der Business-Etikette werden vielfach belächelt. Small Talk? Wer setzt sich zuerst? Wer stellt wen vor? Nun gut, es muss ja nicht gleich der Umgang mit Hummerscheren oder Schneckenzangen sein.
Doch was machen wir mit Teammitgliedern, deren Handy immer im Meeting klingelt? Warum spricht die junge Mitarbeiterin am Tisch im Pausenraum nicht mit uns, sondern hat sich die Ohren wie jeden Tag verstöpselt und starrt auf ihr Smartphone? Warum ruft mich mein Chef noch um 21:30 Uhr an, weil er etwas von mir möchte? Darf er das? Darf ich in der Telefonkonferenz die Kamera auslassen, weil ich meine Sammlung von Murano-Glas und Matchbox-Autos niemand zeigen möchte? Gibt es überhaupt noch eine Kleiderordnung im digitalen Zeitalter? Wie begrüßt und verabschiedet man sich jetzt richtig in der Whats-App-Gruppe? Hat doch der Kollege schon wieder mein Postfach auf dem Rechner mit süßen Katzenvideos gefüllt… Darf der Chef E-Mail-freie Zeiten pro Tag für alle einführen? Sollte ich am Wochenende alle dienstlichen Geräte ausschalten? Wie sieht eine gute Online-Präsentation aus? Wie sprechen wir wertschätzend einen potenziellen neuen Geschäftspartner in Xing oder Linkedin an? Was sollten wir in Social Media von uns preisgeben?
Fragen über Fragen… Was denken Sie? Brauchen wir ein verbindliches Digital-Knigge? Hätte der Freiherr von Knigge es längst erfunden? Wie gehen Sie mit Unsicherheiten um?
Sind Sie neugierig, was ich im Bewerbungsgespräch noch gefragt wurde? Ja, man wollte wissen, ob ich Walzer tanzen kann. Die Stelle bekam ich trotz der positiven Antwort nicht. Es lag wohl an der Schneckenzange.
Über den Autor